Andreas Neumeister, Head of Sales and Marketing Air Systems

„Die Zukunft des Luftkampfs hat begonnen“

Ein Interview mit Andreas Neumeister zum Future Combat Air System

Spätestens seit der Paris Air Show 2019 ist das Future Combat Air System (FCAS) in aller Munde. Deutschland, Frankreich und Spanien nutzten die internationale Bühne in Le Bourget, um ein Rahmenabkommen über das bei weitem größte europäische Rüstungsvorhaben zu unterzeichnen. Im Februar 2020 haben Frankreich und Deutschland den Rahmenvertrag für die erste Demonstrator Phase des Future Combat Air System (FCAS) unterzeichnet. Doch was verbirgt sich dahinter, wo stehen wir im Moment und wie es geht weiter?

Wir sprachen mit Andreas Neumeister, der als Head of Sales and Marketing Air Systems die FCAS Aktivitäten von MBDA Deutschland steuert. Zum 01. Juli 2020 wird er eine neue Aufgabe bei der deutschen Luftwaffe übernehmen.

Bei FCAS ist oft auch die Rede von NGWS, NGF oder Remote Carrier. Was ist das eigentlich?

FCAS beschreibt das zukünftige Gesamtkonzept der Luftwaffe, ihre militärischen Mittel und Fähigkeiten optimal einzusetzen. Dazu gehören Tankflugzeuge, Drohnen, Satelliten, bodengebundene Radar- und Führungssysteme, sowie der Eurofighter. Es wird Schnittstellen zu Marine, Heer und NATO Systemen geben. Es ist zu erwarten, dass auch das neue Taktische Luftverteidigungssystem (TLVS) interoperabel mit FCAS sein wird. Zudem können Technologien aus TLVS in FCAS einfließen.

Das Next Generation Weapon System (NGWS) bildet den Kern von FCAS und umfasst bemannte und unbemannte Luftfahrzeuge, neueste Sensorik sowie das Missionssystem. Bei der Betrachtung von FCAS wurde schnell klar, dass jetzt schon über eine neue Generation von Kampfflugzeugen nachgedacht werden muss. Daher wurde eine deutsch-französische Initiative gestartet, um ein Nachfolgemodel für Eurofighter und Rafale zu entwickeln, den Next Generation Fighter (NGF). Neben Stealth-Eigenschaften zeichnet er sich insbesondere durch seine Netzwerkfähigkeit aus, um eine dezentrale Führungs- und Kontrollfunktion einzunehmen.

Das Future Combat Air System (FCAS) umfasst verschiedene Plattformen, die miteinander vernetzt sind. (Copyright Airbus)

Doch auch der NGF wird nicht alle zukünftigen Funktionen und Anforderungen abdecken können. Daher setzen die Partnernationen große Hoffnungen auf die Integration von sogenannten Remote Carrier (RC). Sie werden durch ihren modularen und somit kosteneinsparenden Aufbau einen vom NGF dislozierten, aber dennoch mit ihm verbundenen Fähigkeitsverbund von Aufklärung, elektronischer Kampfführung und Wirkung bilden. Hierdurch tragen die Remote Carrier zur Mission des NGWS bei und verringern im Einsatz die Risiken für das neue Kampfflugzeug und seine Besatzung erheblich.
Ein weiteres wesentliches Element vom NGWS ist das Missionssystem, welches in die Combat Cloud eingebunden ist. In einer offenen Systemarchitektur können sich verschiedenste Systeme verbinden und zur Mission beitragen. Informationen zum Lagebild werden in nahe Echtzeit über ein komplexes Netzwerk eingespeist, verarbeitet und allen Teilnehmern zur Verfügung gestellt. Hier kommt das sogenannte Manned Unmanned Teaming (MUT) ins Spiel. Es erhöht das situative Bewusstsein des Piloten und koordiniert unbemannte und bemannte Plattformen.

Wieso benötigen unsere Luftstreitkräfte FCAS?

Fest steht, dass zukünftige Einsätze, nicht mehr über das beste Kampfflugzeug, sondern über ein  Gesamtsystem gewonnen werden, das schnell auf Veränderungen in der Bedrohungslage reagiert. Wann habe ich welche Information? Kann ich gegnerische Systeme täuschen, stören oder durch eine hohe Anzahl an Flugkörpern überfordern? Wie kann ich in Räume vorstoßen, die stark verteidigt sind? In diesem neuen Umfeld spielt auch die Störfestigkeit gegen Cyberattacken oder elektronische Gegenmaßnahmen eine wichtige Rolle.   
Kurzum, Europa benötigt ein solches System, um seine Souveränität zu wahren und neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gewachsen zu sein. Gleichzeitig zeigt das Vorhaben, dass Europa in Sachen Verteidigung enger zusammen wachsen muss, denn nur gemeinsam wird man diese Aufgabe bewältigen können.

Das Vereinigte Königreich hat 2018 unter dem Namen „Tempest“ ein ähnliches Vorhaben vorgestellt. Steuern wir wie schon beim Kampfflugzeug der 6. Generation auf parallele Lösungen in Europa zu?

Deutschland und Frankreich sind die Initiatoren von NGWS, Spanien ist dazu gestoßen. Bei Tempest kooperieren UK, Italien und Schweden. MBDA ist an beiden Vorhaben beteiligt. Gerade im Hinblick auf die enormen finanziellen Aufwendungen, die für eine Entwicklung notwendig sind, besteht meines Erachtens jedoch eine echte Chance, dass beide Vorhaben zu einem späteren Zeitpunkt zusammengeführt werden. 

Woran wurde bisher gearbeitet und wo stehen wir aktuell bei dem Vorhaben?

Seit März 2019 läuft die bi-nationale Konzeptphase. Der als Joint Concept Study bekannte Auftrag unterteilt sich in zwei Abschnitte. In der ersten Phase wurden die beiden nationalen Sichtweisen und Anforderungen an das NGWS konsolidiert. Wie will ich das System einsetzen, welche Fähigkeiten und letztlich Technologien benötige ich dafür? Jetzt geht es in der zweiten Phase bis ins Frühjahr 2021 darum, ein gemeinsames Systemkonzept auszuarbeiten.

Parallel zu der bi-nationalen Konzeptstudie hat vor wenigen Wochen die Demonstrator-Phase begonnen, in die auch Spanien später einsteigen wird. Gearbeitet wird an Demonstratoren für die Remote Carrier, die Combat Cloud, das neue Kampfflugzeug, inklusive Triebwerk, sowie für Simulationsumgebung und Sensorik, um aussichtreiche Technologien über die Jahre weiterzuentwickeln und in das NGWS einzubinden.

2030 könnte NGWS in die Entwicklung gehen, denn die Partnernationen wollen das System ab 2040 in ihren Luftstreitkräften einführen. Man kann grundsätzlich beobachten, das Thema hat Fahrt aufgenommen.

Die Hauptauftragnehmer des NGWS sind Airbus und Dassault.
Welche Rolle hat MBDA?

Dassault hat den Lead für das neue Kampflugzeug mit Airbus im Unterauftrag. Safran und MTU sind für die Entwicklung des Triebwerks gesetzt. Airbus hat zurzeit wiederum die Führungsrolle für die anderen Elemente des Gesamtsystems, also Remote Carrier, Combat Cloud und SimLab, eine Simulationsumgebung für Erprobung und Evaluierung.
Der Beitrag von MBDA Frankreich und MBDA Deutschland liegt momentan insbesondere bei den Remote Carrier. In diesem Bereich sind wir bereits in der laufenden Studie und der Demonstrator-Phase als Hauptpartner unterbeauftragt.

Wie bringt MBDA seine Kompetenzen bei den RC ein?

In Le Bourget haben wir 2019 unsere ersten Konzepte wie den RC100 und RC200 vorgestellt. RC100 und RC200 sind leichte Remote Carrier mit einem Gewicht um die 100 kg beziehungsweise 200 kg. Ein Kampfflugzeug, aber auch ein Schiff oder bodengebundenes System könnte sie zum Einsatz bringen. Neben dem Gewicht unterscheiden sie sich Größe und Reichweite, wodurch sie unterschiedliche Missionen abdecken. Die Mehrere Remote Carrier können als Schwarm agieren und zusammen mit  Lenkflugkörpern in geschützte Gebiete eindringen, wobei sie sich gegenseitig mit Daten versorgen.

Skizze des MBDA Remote Carrier

Die Aufgaben der Remote Carrier sind vielseitig und die Payload daher modular. Wir denken insbesondere über Sensorik zur Aufklärung und Identifizierung, elektromagnetische Kampfführung sowie Täuschung von gegnerischen Systemen nach, also als Decoy. Aber auch eine integrierte kinetische Wirkung oder die Möglichkeit kinetisch Wirken zu können, ist für Remote Carrier notwendig, um als Bedrohung wahrgenommen zu werden und größere Flexibilität zu haben. Wir werden uns daher mit Systemauslegung, kinetischen und nicht-kinetischen Wirksystemen, passiven und aktiven Sensoren, robuster Navigation, Low Observability und Schwarmintelligenz beschäftigen müssen. Sicher ist, dass wir, wenn NGWS voranschreitet, noch stärker in neue Technologien hineingehen werden. Das ist eine Herausforderung und Chance zugleich. Wir sollten daher offen und bereit für Neues sein.
Auf Basis des Wissens über Operationen in abgeriegelten Gebieten, komplexe Missionsplanung und Multi-Domain Integration wird MBDA zudem gemeinsame Dienste und Funktionen in Echtzeit über den gesamten Einsatzzyklus hinweg entwickeln. Dies wird zu einem Generationssprung im Bereich des militärischen Effekts Management führen.

Letztlich wird es mit  RC möglich sein, zukünftige Technologien deutlich schneller und kostengünstiger zur Verfügung zu stellen als es durch eine möglicherweise aufwändige Integration auf dem  Kampflugzeug möglich wäre.

Gibt es weitere Geschäftschancen für MBDA bei FCAS?

International ist die Bewaffnung des NGF und gegebenenfalls anderer fliegender Plattformen im Rahmen NGWS ausgeklammert. Hier wird MBDA sicherlich eine zentrale Rolle einnehmen, beispielsweise mit hoch verbundenen oder hypersonischen Effektoren oder eventuell Directed Energy Weapons. Grundsätzlich streben wir bei FCAS die Systemhoheit für die gesamte Bewaffnungs- und Wirkungsebene an. Eine RC-Erstbefähigung auf dem Eurofighter vor 2040 ist ebenfalls denkbar und würde die operationelle Relevanz eines Flugzeuges der aktuellen Generation bis zur Ablösung durch das NGWS sichern.

Herr Neumeister, vielen Dank für das Interview